(ddna) Medienmacher und Medienmacherinnen – Reporterixe, Redakteurixe und, um korrekt zu Ende zu gendern, Korrespondentixe lamentieren über Laschet, fordern empört mehr Digitalisierung, plustern sich auf, wenn es um Politiker-Plagiate geht und erklären den Dauerkonflikt zwischen Radlern und Autofahren zur global relevanten Überlebensfrage: Medien wissen alles. Der unterbezahlte Werkstudent schreibt für ein renommiertes News-Portal Meldungen um, die engagierte Jung-Reporterin berichtet zum ersten Mal im Leben über die Dax-Bilanzpressekonferenz – viele in den Medien wissen nichts oder nicht sehr viel. Das wäre noch erträglich, wenn dies nicht zum Staatsgeheimnis erklärt würde. Dieses gepflegte Nicht-Wissen, was vermischt mit der eigenen Position zu einer Pseudowirklichkeit zusammengerührt wird, die als „wirklich wichtig“ beworben wird. Besser niemand berichtet darüber. Obwohl das wirklich wichtig wäre.
Medien verbreiten wichtige News – wirklich?
Jeden Morgen möchten mir Medien in Newslettern, auf Portalen, in E-Abos oder in den sozialen Medien sagen „was wirklich wichtig ist“. „Was Sie heute wissen müssen“ beginnt ein Fachmedium seinen täglichen Newsletter. Liebe Absenderinnen und Absender – eurer penetrant vorgetragener Anspruch darauf, zu wissen was „wichtig“ ist, entstammt der vorsteinzeitlichen Medientheorie des Agenda-Setting, die längst als Fußnote in Wikipedia verstaubt. In der ARD und beim ZDF hält sich zudem hartnäckig das Gerücht, man müsse „die Menschen an die Hand nehmen und begleiten“ – der Schulfunk als Programmform ist längst beerdigt, die Attitüde aber hat sich gehalten. Beide dieser so unterschiedlichen Gruppen der Inhalteschaffenden kommen immer wieder zu einer pseudo-aufklärerischen Ansprache ihres Klientel, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen: Auf der einen Seite die „Content Creatoren“ der privaten Portale und Websites, hier werden gerne WerkstudentenInnen genommen, für 12 Euro die Stunde und eine nachmittägliche Runde am redaktionseigenem Kickertisch. Dafür muss nur eines geliefert werden: Klicks! Impressions! Verkaufbare Reichweite! Alles andere ist ziemlich egal, denn für Recherche ist eh keine Zeit.
Fernab der Realität kreist das Raumschiff „ARD-ZDF“ um die Erde
Auf der anderen Seite das verschämt verschwiegene Wissen, dass mann und frau bei ARD und ZDF mit den Resten der einst sich so stolz durch Zeit und Raum bewegenden Medienindustrie sehr wenig gemeinsam hat. Eigentlich – gar nichts. Für 12 Euro arbeitet ein Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Systems im Falle einer ungeliebten Wochenschicht maximal 10 Minuten, der programm-relevante Portalredakteur in den privaten Niederungen eine Stunde lang. 4.700 Euro verdient ein freier Mitarbeiter bei der eher kleinen Sendeanstalt nach RBB-Angaben auf der anstaltseigenen Website – das sind 100% mehr als in vergleichbarer Situation in den privaten Medien. Zuzüglich einer fantastischen Betriebsrente, die längst zum Bleigewicht aller ARD-Anstalten geworden ist. Zusammen mit den üppigen Verwaltungsaufgaben bleiben dem Hessischen Rundfunk gerade mal 20 Prozent der Gesamteinnahmen für die „Erstellung von Inhalten“ – so zitiert ein Kollege aus einer verständlicherweise nicht veröffentlichten Studie einer renommierten Unternehmensberatung. Verschluss-Sache. Nicht nur dort schmelzen Programminhalte ab: Bald wird es das erste Bundesland ohne gedruckte überregionale Zeitung geben und in den privaten Rundfunkstationen ist der letzte Satz mit mindestens 10 grammatikalisch korrekten Wörtern schon vor vielen Jahren gesprochen worden.
Die „Querdenker“ sind die besten Gehilfen der Medien
Beide so unterschiedlichen MedienmacherInnen-Gruppen sind fest überzeugt zu wissen, was „wirklich wichtig ist“. Vor Bundestagswahlen noch mehr. Egal ob privat oder GEZ-basiert – es gibt eine Mission, die in Bewertung, Einordnung und Einschätzung endet. Mit Weglassen – das ist unauffällig und damit recht ungefährlich – oder dem wesentlich problematischen Hinzufügen werden Realitäten geschaffen, die „wichtig“ sind. Die abstrusen Querdenker haben sich dabei unfreiwillig zu Gehilfen einer Mediengesellschaft gemacht, die sie ja so gerne abschaffen wollen würden, egal ob privat oder öffentlich-rechtlich: Denn jeder Medienkritiker und jede Medienkritikerin wird seit Corona-Beginn an den Querdenker-Pranger gestellt.
So kommen alle Medien wieder über eine pandemie-bedingte gesellschaftliche Krise hinweg, ohne sich einen Moment für Selbstkritik zu nehmen. Das Handelsblatt, das wegen der ungebrochenen Liebe zu dem Betrüger-Unternehmen Wirecard jeden Grund zur Reflexion hätte, schreibt inzwischen brav Enthüllungsgeschichten über das Fake-Dax-Unternehmen. Obwohl man zuvor den Kolleginnen und Kollegen der „Financial Times“, die Wirecard-Gate enthüllten, unverhohlen Hetze gegen ein ehrenwertes deutsches Unternehmen vorwerfen wollte. Brav hatte man die Geschichte der Millionen-Betrüger erzählt, nach der alle Vorwürfe gegen Wirecard von böswilligen Spekulanten erfunden worden waren. Selbstkritik ist in den Medien nicht wichtig. War sie noch nie.
Bequemlichkeit und Wichtigtuerei verhindern jede Bewegung in den Medien
Es gäbe ja durchaus Möglichkeiten. Mehr Daten, mehr Zahlen, mehr Fragen – CNN kann das. Die New York Times auch. Es gibt immer mehr Medien aus dem Ausland, die sich bei hervorragend informierten Versicherungsgesellschaften in Deutschland Daten und Fakten zu den großen Themen wie CO2 und Klimaveränderung holen. Die mit der NASA zusammenarbeiten um ohne Wertung Daten gegenüberzustellen. Medien, die nicht nur über WHO und Weltbank berichten, sondern deren geprüfte Statistiken analysieren – ein Urteil dürfen sich die UserInnen dieser Medien selbst bilden. Sogar darüber, ob etwas wichtig ist oder nicht. In Deutschland ist die preussische Oberlehrerhaftigkeit in den Medien auch mit zwei Impfungen nicht ausrottbar.
Warum können das deutsche Medien nicht – mit Daten statt Meinungen arbeiten? Warum muss dem unmündigen Mitbürger die Welt erklärt werden von jemanden, der am Abend davor zulange mit seinen Redaktionskumpels in der Szenkneipe war und jetzt den Aufmacher zum Afghanistan-Konflikt schreiben oder sprechen muß?
Es ist vielleicht menschlich verständlicher Selbstschutz, keine großen Veränderungen einzufordern, schon gar nicht in der eigenen Redaktion. In den privaten Redaktionen wäre es ein Todesurteil, informative und sachliche Berichte zu forcieren, die viel Geld kosten, ohne neue Klick-Rekorde zu bringen. Im öffentlich- rechtlichen Biotop kommen AbteilungsleiterInnen auf mindestens 10.000 Euro Monatsgehalt und solange das System nicht in Frage gestellt wird, ist eine kleine AbteilungsleiterIn-Position spätestens nach 20 Dienstjahren immer möglich.Also besser schweigen. Lieber denen da draußen täglich verkünden, was „wichtig“ ist. Und danach moderiert immer Florian Silbereisen. Egal ob privat oder ARD/ZDF.
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